Auf den Spuren des Grundgesetzes
Bei der Recherche zur Entstehung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland bin ich unlängst auf eine Problematik gestoßen, die ich so nicht vermutet hätte. Ich habe mir die Frage gestellt, wo ich mir unser Grundgesetz anschauen könnte. Nicht einen der zahllosen Wiedergaben des Inhalts, sondern das Dokument, welches die sogenannten Gründungsväter und –mütter 1949 beschlossen und durch ihre Unterschrift beurkundet haben. Kein Problem dachte ich mir, eine Suchanfrage in einer Suchmaschine lieferte sofort etliche Abbildungen des besagten Dokumentes. Schon bei den ersten Abbildungen wurde darauf hingewiesen, dass es sich bei der gezeigten Ausgabe um ein Faksimile des Grundgesetzes handelt. Doch wo steckt das Original? Gänzlich verwirrend wurde es, als sich zwei Versionen der Unterschriftenseite mit den Unterschriften Konrad Adenauers, Adolph Schönfelders und Hermann Schäfers finden ließen. Eine Version mit einem schmuckvollen Schriftbild und eine mit einer eher nüchternen Typographie.
In den einschlägigen Kommentaren wurde die Arbeit des Parlamentarischen Rates, der das Grundgesetz erarbeitet hatte, ausführlich beschrieben und auch Darstellungen der Unterzeichnungszeremonie fanden sich. Doch kaum ein Hinweis auf den Verbleib des Originals, der Urschrift unserer Verfassung. Lag es daran, dass das Grundgesetz in den ersten Jahren der Bundesrepublik stets als vorübergehend angesehen wurde? Schon in der Namenswahl wurde dies zum Ausdruck gebracht. Keine Verfassung, sondern ein Grundgesetz, das die staatlichen Belange und das Zusammenleben in dem neu geschaffenen Teilstaat regeln sollte, bis eines Tages das wiedervereinte Deutschland sich eine Verfassung geben würde. In einigen Beiträgen über die Vereidigung der höchsten staatlichen Würdenträger, wie Bundespräsident, Bundeskanzler und Bundesminister wurde verschiedentlich darauf hingewiesen, dass diese ihren Amtseid in Gegenwart des Originals des Grundgesetzes leisteten.
Anfragen im Bundesarchiv und anderen Archiven brachten keine Klärung darüber, wo sich das Original befindet. Immer wieder stieß ich auf verschiedene Faksimileausgaben, so im Haus der Geschichte in Bonn, im Theodor Heuss Haus in Stuttgart und anderswo. Dafür konnte ich im Netz eine Reihe von Verschwörungstheorien zur staatlichen Legitimation der Bundesrepublik Deutschland finden, die sich eben darauf beriefen, dass es keinen öffentlich zugänglichen Ort gibt, wo jeder Bundesbürger sich von der Existenz des Grundgesetzes überzeugen kann. Aus diesem Umstand schließen diese Gruppen, dass es das Grundgesetz womöglich gar nicht gab und gibt. Das gibt natürlich wilden Spekulationen seinen Raum.
In einem Beitrag über das Grundgesetz hat der Historiker Michael F. Feldkamp detailliert dokumentiert, wie es zu den nunmehr im Netz auffindbaren diversen Faksimileausgaben gekommen ist. Bereits im Jahre 1949 wurden im Auftrag von Konrad Adenauer Faksimiles angefertigt, die den unterzeichnenden Mitgliedern des Parlamentarischen Rates, den Ministerpräsidenten der deutschen Länder und Landtagspräsidenten sowie den alliierten Militärgouverneuren und Verbindungsoffizieren der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszonen überreicht werden sollten. In den folgenden Jahren folgten diverse weitere Faksimiles und Teilfaksimiles, so u.a. 1956 eine Ausgabe mit einer abweichenden Drucktype. Hier finden wir also die Erklärung für Abbildungen des Grundgesetzes, die nicht mit der Urschrift übereinstimmen.
2017 widmet sich nun eine Ausstellung des Bundesrates in Bonn der Entstehung des Grundgesetzes. Im Rahmen der Ausstellung wird es zumindest auch ein blätterbares digitales Faksimile der Urschrift geben. Das Original bleibt unsichtbar. Verschlossen im Tresor des Direktors des Deutschen Bundestages. Das Licht der Öffentlichkeit wird das Original erst wieder erblicken, wenn eine neue Vereidigung von Regierungsmitgliedern ansteht. Ein derartiger Umgang mit dem Schlüsseldokument einer Nation wäre zum Beispiel in den USA undenkbar. Zwar ebenfalls hinter Panzerglas gesichert, ist die amerikanische Verfassung aber jedem Interessierten zugänglich, der mit eigenen Augen die Worte „We the People of the United States,…“lesen möchte.
Ich denke, es ist an der Zeit diesem Dokument, das die Grundlage unseres Staates bildet und ein Garant für die friedliche Entwicklung seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland darstellt, einen für alle zugänglichen würdigen Rahmen in der Öffentlichkeit geben. Nicht verschlossen hinter Tresoren und damit unsinnigen Spekulationen Tür und Tor öffnend, sondern mitten in unserem gesellschaftlichen und politischen Leben. Hunderttausende besuchen alljährlich den Deutschen Bundestag. Ihnen sollte man Gelegenheit geben diesem überaus erfolgreichen Weltdokument aus deutscher Feder seine Referenz zu erweisen.
Christian van Weyden
Die Suche nach Hitlers Testament
Im Dezember 1945, acht Monate nach Unterzeichnung der Kapitulation durch die deutsche Armeeführung, ereignete sich in einem kleinen Bauerngehöft bei München ein denkwürdiges Schauspiel, das einen ironischen Schlusspunkt unter die Schreckensherrschaft des Naziregimes setzte: In einer unscheinbaren Scheune unweit des Tegernsees, macht der US- Geheimdienstoffizier Arnold Weiß, ein Jude mit deutschen Wurzeln, eine Entdeckung, die er sein Leben lang nicht vergessen wird. Unter einem Strohhaufen findet er neben einer getragenen SS-Uniform einen alten, verschlissenen Koffer. Als er ihn öffnet erblickt er eine in braunes, unechtes Leder gebundene Mappe. Darin mehrere maschinenbeschriebene Seiten. Als er den Titel liest, ist er fassungslos: „Mein privates Testament“, datiert in Berlin am 29. April, vier Uhr morgens, unterzeichnet „Adolf Hitler“. Beim Durchblättern stößt er auf zwei weitere Dokumente. Es handelt sich um das politische Testament Adolf Hitlers (Dok.1) sowie die Heiratsurkunde über seine Ehe mit Eva Braun. Der jüdische Offizier traut seinen Augen nicht. Ausgerechnet er, der selbst ein Verfolgter des Naziregimes gewesen ist, hält den letzten Willen des Mannes in Händen, der unzählbare Verbrechen an seinem Volk begangen hatte.
Doch Weiß war nicht ganz zufällig in der Gegend. Nach dem Selbstmord Hitlers kursierten wilde Gerüchte über dessen tatsächlichen Verbleib. Der junge Offizier war vom amerikanischen Geheimdienst damit beauftragt worden, stichhaltige Beweise für den Tod des Diktators zu sammeln. Doch waren diese Dokumente hier tatsächlich echt? Sie enthielten kein offizielles Siegel und waren auf ganz gewöhnlichem Schreibpapier verfasst worden. Weiß hegt Zweifel, aber das sollten schließlich andere prüfen. Wenig später übergibt er die Mappe an den Secret Service. Seine Mission war erfüllt.
Die letzten Stunden des Tyrannen
Die Echtheit der Dokumente, von denen noch zwei weitere Ausfertigungen im Imperial War Museum in London aufbewahrt werden, wurde im Jahr 1946 durch das FBI eindeutig bestätigt. Sie dienten anschließend als Beweismittel in den Nürnberger Prozessen. Die Originale der vorliegenden Ausfertigung werden bis heute im Nationalarchiv der Vereinigten Staaten aufbewahrt. Für die Wissenschaft gehören sie nach wie vor zu den aufschlussreichsten Zeitzeugnissen, die die letzten Tage der Naziführung im Bunker der Berliner Reichskanzlei dokumentieren.
Im April 1945 rückt die Rote Armee unaufhaltsam auf die deutsche Hauptstadt zu. In einem Zangengriff soll die letzte Bastion des NS-Regimes zu Fall gebracht werden. Während Teile der Reichsführung, darunter Hermann Göring, Heinrich Himmler und Karl Dönitz, die bedrohte Stadt verlassen, entschließen sich Hitler und seine engsten Vertrauten, der Berliner Gauleiter Joseph Goebbels und Hitlers Privatsekretär Martin Bormann, weiter auszuharren. Bereits am 16. Januar hatte sich Hitler mit seinem engeren Führungsstab in den Schutz eines unterirdischen Bunkers auf dem Gelände der Reichskanzlei zurückgezogen. Während oberhalb der Stahlmauern die Bevölkerung um das nackte Überleben kämpft, ist die Stimmung im „Führerbunker“ beinah ausgelassen. Am 20. April feiert Hitler seinen 56. Geburtstag. Noch glaubt er an eine mögliche Kriegswende. Ein letztes Aufgebot soll es richten. Vom 25. bis 27. April fordert Hitler mehrere größere Einheiten aus dem Umland zur Verstärkung herbei. Doch die Durchbrechung der russischen Linien scheitert. Nun ist klar: Der Krieg ist nicht mehr zu gewinnen. Um nicht als lebende Trophäe in die Hände der Alliierten zu fallen, entschließt sich Hitler, seinem Leben selbst ein Ende zu bereiten. Zuvor aber erledigt er noch eine andere Angelegenheit, die seit Längerem ungeklärt im Raum stand. Er heiratet Eva Braun.
Die Hochzeitsfeier wird überschattet von dem Bewusstsein des nahenden Untergangs. Hitler spricht offen über seine Selbstmordpläne. Seine neue Frau beschließt, ihm zu folgen. Wenig später zieht er sich mit seiner Sekretärin Traudl Junge in ein Nebenzimmer zurück. Er diktiert ihr sein privates und politisches Testament. [Foto 1a. + b.]
Der letzte Atemzug – Das politische und private Vermächtnis
Das politische Testament ist durchsetzt mit den nur zu gut bekannten Anfeindungen, Hasstiraden und Schuldzuweisungen und in einem Tonfall gehalten, der ihren eigentlichen Zweck schnell deutlich werden lässt: Es ist der letzte Versuch einer Glorifizierung der nationalsozialistischen Bewegung und seiner eigenen Person. Das Dokument gliedert sich in zwei Teile. Bereits in den ersten Zeilen ist Hitler bemüht, sich von jeglicher Kriegsschuld reinzuwaschen: Nicht er oder irgendein anderer Deutscher hätten den Krieg gewollt, sondern „Staatsmänner, die entweder jüdischer Herkunft waren oder für jüdische Interessen arbeiteten“. Aber auch die „charakterlosen Subjekte“ in den eigenen Reihen bleiben von Vorwürfen nicht verschont. Unter Einsatz völlig abwegiger Argumente und stark emotional aufgeladener Anklagen gegen das jüdische Volk streitet Hitler jegliche Kriegsverantwortung ab und erläutert ausführlich seine angeblichen Bemühungen, die, wären sie nicht „verworfen“ worden, den Krieg in letzter Minute verhindert hätten. Seinen beabsichtigten Selbstmord verklärt „der Gründer und Schöpfer dieser Bewegung“, wie er sich selbst bezeichnet, zum Märtyrerakt. „Ich sterbe mit freudigem Herzen“, so sein Resümee. Angesichts solcher Formulierungen ist unzweifelhaft, dass Hitler beabsichtigte, eine Art Manifest für die Nachwelt zu hinterlassen.
Nach sechs Seiten folgt schließlich der zweite Teil des Dokuments. Auch hier rechnet Hitler zunächst mit den „Verrätern“ ab. Er stößt sowohl Göring als auch Himmler aus der Partei aus und entzieht ihnen ihre politischen Ämter, denn kurz zuvor waren beide in geheime Friedensverhandlungen mit den Alliierten getreten. Zu seinem Nachfolger als Reichspräsidenten und Obersten Befehlshaber der Wehrmacht ernennt Hitler Großadmiral Karl Dönitz. In die neue Reichsregierung beruft er Joseph Goebbels als Kanzler und Martin Bormann als Parteiminister. Insgesamt ernennt Hitler neunzehn neue Kabinettsmitglieder, die er nicht nur dazu verpflichtet, den „Ausbau des nationalsozialistischen Staates“ weiter voranzutreiben, sondern auch „zur peinlichen Erhaltung der Rassegesetze und zum Widerstand gegen (…) das internationale Judentum“ mahnt. Als Zeugen unterschrieben Joseph Goebbels, Martin Bormann, Generalstabschef Hans Krebs und Hitlers Adjutant Wilhelm Burgdorf.
Die Botschaft verfehlt den Empfänger
Die Testamente wurden in dreifacher Ausfertigung erstellt. Eine Abschrift sollte an den Oberbefehlshaber des Heeres Ferdinand Schörner überbracht werden. [Foto 2] Die zweite war für die Parteiarchive in München bestimmt. Die dritte, vorliegende Abschrift, sollte gemeinsam mit der Heiratsurkunde Admiral Dönitz zugestellt werden. Als Begleitbrief fügte Bormann ein paar erklärende Zeilen hinzu (Dok.2). Anschließend erteilte er SS-Standartenführer Wilhelm Zander den Befehl, die Dokumente an den neuen Reichspräsidenten ins schleswig-holsteinische Plön zu bringen.
Am Morgen des 29. April verlässt Zander gemeinsam mit zwei weiteren Kurieren den Bunker. Da der Aufbruch spontan erfolgte, ist die Gruppe denkbar schlecht ausgerüstet. Trotzdem gelingt es den Männern, sich, von russischen Einheiten weitgehend unbemerkt, in Richtung Westen zur Havel durchzuschlagen. An einem von deutschen Truppen gehaltenen Brückenkopf bitten sie Dönitz per Funkspruch, sie mit einem Flugzeug abzuholen. Anschließend rudern sie am Nachmittag des 30. April zur Pfaueninsel hinüber und warten dort auf die erhoffte Hilfe. In derselben Nacht wässert das von Dönitz geschickte Flugzeug vor der Insel. Doch noch bevor die Gruppe es erreichen kann, setzt ein starker Beschuss ein. Der Pilot gerät in Panik, dreht ab und verschwindet. Gegenüber Dönitz behauptet er, dass er die Kuriere nicht gefunden hätte. Damit ist die Mission endgültig gescheitert.
Am 30.April, einen Tag nach Hitlers Selbstmord, erhält Dönitz ein überraschendes Telegramm aus dem Hauptquartier. Martin Bormann teilt ihm darin knapp und ohne Umschweife mit, dass Hitler ihm mit sofortiger Wirkung die Nachfolge anvertraut habe. In einem weiteren Telegramm erhält er eine kurze Aufstellung der neu ernannten Minister. Am 2. Mai verlegt der neue Reichspräsident sein Hauptquartier von Plön nach Flensburg. Von dort aus schickt er das erste Kapitulationsangebot an das britische Militär.
Wenige Tage später ist der Krieg vorüber und die Boten erreichen schließlich das Gebiet der westlichen Besatzungszone, wo sie sich trennen. Zander geht nach Bayern und versteckt die Dokumente in einem Koffer in einem Dorf am Tegernsee. Er nimmt eine neue Identität an und verwischt alle Spuren.
Die Schlinge zieht sich zu
Kurz nach Kriegsende wird einer der Kuriere von der britischen Regierung aufgespürt. Im Innenfutter seiner Kleidung findet man Hitlers politisches und privates Testament sowie ein von Goebbels unterzeichnetes Schreiben. Bereitwillig verrät der Gefasste die Namen seiner Mitstreiter. Nach langwierigen Verhören wird auch die zweite Abschrift entdeckt – vergraben in einem Garten im Nordrhein-Westfälischen Iserlohn.
Auch der amerikanische Geheimdienst interessiert sich mittlerweile brennend für Augenzeugen, die die letzten Tage im Bunker miterlebt hatten. Hans Arnold Wangersheim, geboren am 25. Juli 1924 in
Nürnberg, der als US-Offizier Weiß nach Deutschland zurückgekehrt und an der Befreiung von Dachau beteiligt war, wird mit dem Fall beauftragt. Weiß, ursprünglich Experte in internationalen
Bankgeschäften und Partner in der Washingtoner Kanzlei Arent Fox, interessiert zu diesem Zeitpunkt nur noch eins: Er musste Zander finden. Seine Entdeckung würde unweigerlich zu Hitlers engstem
Vertrauten Martin Bormann führen. Als er Zanders Familie ausfindig gemacht hat, setzt er sie so lange unter Druck, bis er endlich auf eine heiße Spur stößt: Der Mann hat in München eine junge
Freundin. Beim Verhör des Mädchens genügen schon ein paar psychologische Tricks und er ist am Ziel. Sie verrät ihm den Aufenthaltsort des Gesuchten, der unter falschen Namen als Gärtner am
Tegernsee lebt. Um drei Uhr morgens stürmt er mit Kollegen vom amerikanischen Sicherheitsdienst in das Haus des Verdächtigen, überrascht Zander mit seiner Geliebten im Bett und nimmt ihn fest.
Zander gesteht sofort und gibt zum Erstaunen des jungen Offiziers ein wohl gehütetes Geheimnis Preis ...
Christian van Weyden